Auf dem Rücken des Elefanten

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Kampala & Berlin, im Juni und Juli 2021

Dear Passenger,

kurz vor Abflug erhielt ich eine email von Air Ethiopia. Die üblichen Ankündigungen, Hinweise zu Gefahrenstoffen und zulässigen Gewichten, oder ein wenig attraktives Angebot für ein Upgrade in die Buisness Class – so dachte ich mir und ignorierte das Schreiben. Uganda war als Risikogebiet eingestuft worden und Reisende aus Gegenden, in denen die Delta-Varianten von Sars Cov II auftreten, sind nicht gerade umworbene Gäste. Rwanda und die Arabischen Emirate hatten bereits Mitte Juni einen Bann über alle Flüge aus Uganda verhängt. Einen Aufenthalt in Kigali, der Rwandischen Hauptstadt hatte ich kurz nach Einreise in Uganda aus meiner Planung gestrichen, diesbezüglich konnte es also keine bösen Überraschungen geben – hm, ich fischte die email aus dem Trash-Ordner: Bingo! Bonus! – zum zweiten Mal schenkt mir Air Ethiopia Zeit. Mein Flug am 17. Juli in drei Etappen von Entebbe nach Berlin würde verfrüht starten, dafür dehnte sich der Aufenthalt auf dem Airport in Addis Ababa auf acht Stunden und vierzig Minuten aus. Vorfreude erfüllte mich – als erstes würde ich inspizieren wie weit die Baustelle der Toiletten während der vergangenen Wochen vorangeschritten war. Ob die Armiereisen noch in die Luft ragten wie Antennen, die Funksignale aus einer anderen Welt empfingen?

Ob ich wieder auf Frauen treffen würde, deren in der Halle zwischen den Sitzreihen am Boden hingestreckte Gestalten – müde vom langen Warten- mit ihren Gepäckstücken verschmolzen zu atmenden, skulpturalen Körpern, die mich in an Treibholz denken ließen, welches durch Strömung des Wassers ans Ufer geschwemmt wird? Mein Blick hatte Schuhe gefunden. Kaum einer war seiner Besitzerin zuzuordnen, vereinzelt oder paarweise trieben sie auf der polierten Bodenfläche, dümpelten entlang der Stuhlkanten.
So war es gewesen vor sechs Wochen als sich mein Aufenthalt im Transitbereich des International Airports Bole unerwartet auf vierzehn Stunden ausdehnt hatte.


‘I STILL HAVE THAT DREAM’, hatte Rose gesagt.

Ihre Hände tauchten ins Wasser der Plastikbecken und Eimer ein, die sie vor sich angeordnet hatte: zwischen Stoffen schäumte die Waschseife, die sie an besonders schmutzempfindlichen Stellen in die Kleidungsstücke eingerieben hatte, an Nähten und Säumen. Sie bearbeitete die Textilien mit kräftigen Bewegungen, wrang T-Shirts, Pullover, Kleider, Hosen, Blusen über den unterschiedlichen Wannen aus – erst das Schmutzwasser, dann das klärende Spülwasser. ‚It is my routine. I did the washing when I was a child, and I am used to it.‘

Sie war noch Kind als ihr, der Ältesten in der Reihe von sieben Geschwistern, die Aufgabe zufiel, sich um die Wäsche der Familie zu kümmern.
‚There is no other option apart of my hand.‘

Der Traum von Rose ist es, ein großes Restaurant zu eröffnen.

 ‚Die Frauen am Flughafen, von denen du sprichst, hatten die etwas Besonderes an?‘, hatte mich Beatrice Lamwaka gefragt, als wir uns das erste Mal in Kampala trafen. Unsere Begegnung als Stipendiatinnen im Künstlerdorf Schöppingen im Münsterland lag gut zwei Jahre zurück. Jetzt saßen wir zusammen im Garten des Gästehauses in Kampala. ‚Sie trugen violette Kleider und ihr Haar war verborgen unter ockergelben Tüchern. Andere waren in schwarz gehüllt und die Farbe ihrer Schals war blau. Die, auf deren Kleidung goldene Buchstaben das Unendlichkeitszeichen umrankten und sich zum Schriftzug ‚infinity‘ fügten, flogen nach Saudi Arabia. Andere warteten am Gate auf die Maschine nach Dubai.  Auf dem brombeer-farbenen T-Shirt von Amaziha stand ‚Move -Jobs abroad‘. ‚Wir wissen nicht, was uns erwartet‘, hatte sie mir gesagt, als wir an einer Handy-Ladestation ins Gespräch kamen. Die ökonomische Situation in Uganda und die Not ihrer Familie habe sie bewogen, sich von einer Agentur rekrutieren zu lassen. Amaziha hatte sich für zwei Jahre als ‚Maid‘ verdingt.

Eine ‚Maid‘ ist eine moderne Sklavin – nicht jede Frau überlebt das Versprechen auf Wohlstand. Viele werden misshandelt und vergewaltigt. Viele kehren nie wieder zurück. Die Berichte über das Schicksal der Frauen ist vielfach nachzulesen. ‚Die Männer in Uganda‘, sagte Amaziha noch, ‚überlassen die Arbeit den Frauen.‘ Deswegen hätte sie sich entschieden zu gehen. ‚Wir müssen hart arbeiten.‘

Die Herzschläge der Schlafenden. Die abgestreiften Schuhe. Die Schritte ins Ungewisse:
„Jede Arbeit in Herzschlägen messen – Geldeinheit der Zukunft, die jeder Lebende in gleichem Maße besitzt.“  [1]


ICH BIN AUF DEM RÜCKEN DES ELEFANTEN GEWANDERT.

Er hat mich in alle Richtungen getragen, über den rotem Grund mit seinen Altersfruchen, spröden Linien und Rissen.

Die frischgewaschene Wäsche, zum Trocknen ausgebreitet auf Rasenstücken, über Hecken und Zäune drapiert, sonnengeflutet an Wäscheleine, wies mir den Weg.

Das erste Haus auf der rechten Seite, wenn man die dreiviertel Stunde Weg von der Stadt Mpigi Richtung Sina Village gegangen ist und das nachhaltige Modelldorf mit seiner Social Innovative Academy schon fast erreicht hat, bewohnen Helen und Jack mit ihren Kindern. Helen beugte sich im Schatten eines Mangobaumes über einen kleinen Kochofen. Es dampfte aus dem Topf. Wahrscheinlich garten Bohnen, oder sie bereitete Porridge aus Posho zu. Die Wäsche hing an den Leinen und unterteilte den Hof in Segmente. Es war zehn Uhr morgens.

b: Helen,  wie oft wäscht du?

Helen, überlegte und zählte sorgfältig die Tage ab:
Alle vier Tage

b: Hast du eine bestimmte Zeit, an der du wäscht?

H.: morgens....

B: Wie lange brauchst du in etwa für eine Menge wie diese?
(Zwei Wäscheleinen, ungefähr sechs Meter lang, mit Bettwäsche und Alltagskleidung der Familie)  

H: Vier Stunden

b: Das heißt, du beginnst um 6 Uhr früh?

H: Ja
(lacht)

b: Wie reagiert dein Körper auf das Waschen?

H: Es erschöpft mich. Aber was soll ich machen? Ich muss weitermachen.

b: Woran denkst du, wenn du wäscht?

H: Selbst wenn ich wasche, denke ich an etwas.
Manchmal überlege ich, was ich kochen soll –
Ich denke über die Kinder nach –
Auch über Geld –

Und wie wir überleben –

Überleben. Keine:r weiß wie das gehen soll – falls der Lockdown noch lange anhält, möglicherweise über den Ablauf der 42 Tage Ende des Monats hinaus.


RÜCKBLENDE

‚For you, nothing changes‘ – ,Für dich ändert sich nichts‘, hatte Rose am Morgen nachdem der Präsident gesprochen hatte, gesagt.

‚So wie du bisher zu Fuß gegangen bist, wirst du auch weitergehen.‘ Für Samstagabend acht Uhr war der präsidiale Speech angekündigt worden. Karens kleines schwarzes Nokia lag zwischen unseren Tellern und wir lauschten den – für ungeübte Zuhörer:innen wie mich – verblüffenden Darlegungen und rhetorischen Exkurse des Präsidenten Museveni zur Entwicklung der Pandemie. Meine Reise hatte mit in Kraft treten des zweiten Lockdowns in Uganda begonnen. Jetzt, nach zehn Tagen war die Furcht unter den Menschen vor weiteren, strengen Maßnahmen groß. Therefor…. wir warteten auf das Stichwort, welches die Maßnahmen und Regularien konkret benennen würde, die die Regierung aus den exponentiell steigenden Infektionszahlen und dem überlasteten Gesundheitssystem ableiten würde. „Frühestens nach 40 Minuten„, hatte Karen prophezeit und ihre Vorhersage sollte von der Realität noch übertroffen werden. Den letzten Löffel Posho– eine Art schneeweißer Polenta aus sehr feinem Maismehl – hatten wir längst gelöffelt, als wir nach 75 Minuten zusammenzuckten: Der Präsident sprach aus, was die Menschen erahnt und gefürchtet hatten: Verschärfter Lockdown bei unmittelbarem in Kraft treten.


Mit Einbruch der Dunkelheit war ich gegen 19 Uhr vom Northern Bypass – in Berlin würde man von der Stadtautobahn sprechen – die Böschung an meinem Abzweig hochgekrabbelt und hatte mit Unbehagen das Aufgebot von Pickups mit bewaffneten Polizisten wahrgenommen. Die tagsüber von den Ordnungskräften an verkehrstechnisch einschlägigen Stellen auf dem Bypass platzierten Absperrblöcke erwiesen sich als Vorbereitungen zur Umsetzung der schwerwiegendsten Einschränkung im präsidialen Maßnahmenkatalog: das Einfrieren sämtlicher öffentlicher und privater Verkehrsmittel – keine Busse, keine Matatus (Minibusse), keine Uber’s, keine Boda Bodas (Motorradtaxen). ‚Curfew‘, Ausgangssperre ab 21 Uhr.
Seither kommen viele Menschen nicht mehr zur Arbeit – mit fatalen Auswirkungen auf ihre Existenz.

Die Kunst des Gehens dient nicht dem Überleben.

 Wir waren drei Frauen – die die Rede des Präsidenten während anderthalb Stunden aus unterschiedlichen Gründen an diesem Tisch im Gästehaus vereinte: Karen, in Kampala geboren und aufgewachsen, eine Medienfrau und Produktionerin, die im sogenannten Gartenhaus wohnte, wenn sie downtown arbeitete. Sie war gestrandet, kam nicht mehr in ihren Bezirk Mukono zurück. Alex, die ein Auslandspraktikum absolviert und ich.

Sie können die Geschäfte nicht schließen„, hatte Eria prophezeit. „Wir leben von der Hand in den Mund. Niemand hat das Geld, Vorräte für eine Woche anzulegen.“

Eria, der das Haus umsorgte und bewachte, sollte recht behalten. Lebensmittelmärkte und Einzelhandel blieben geöffnet, die Shoppingmalls und Handelszentren schlossen. Der Präsident riet den Händler:innen in ihren Marktständen zu übernachten, sollte der Weg nachhause ohne öffentliche Verkehrsmittel nicht zurückzulegen sein. Die Regierung versprach Moskitonetze und Regenschirme…..
Ich überlegte, wie die Menschen während 42 Tagen Lockdown ohne Duschen und kaum benutzbarer Toiletten ihr Überleben auf den Märkten gestalten sollten.

Ich ging weiter, folgte den Wäschestücke, den frisch gewaschenen auf den Wiesen, den Stapeln von Second Hand Kleidung am Straßenrand. Ich tauschte Blicke mit den fliegenden Händler:innen. Ihrer bescheidene Auswahl an Hemden oder Hosen diente der Arm als Präsentationshilfe. Schließlich erreichte ich die Hallen, wo sich die Ballen mit Second Hand Kleidung aus Europa, den USA und Japan stapelten.

Ich kaufte auf dem Markt in Kalerwe ein paar T-Shirts ein: ein hellgrünes Adidas Shirt, ein Shirt mit dem Aufdruck ‚Straight Outta Kindergarten‘ und eines mit gestickter Werbung für ‚SeCla Gerüstbau‘, inklusive deutscher Mobilfunk-Nummer. Der Schriftzug der Baufirma lief weiß auf schwarz über den gesamten Rücken.

In der bescheidenen Holzbaracke, die Charity und ihren Kindern sowohl als Verkaufsraum als auch zum Wohnen diente, hingen ein paar Blusen und Kleider an einer Schnur: Ich entschied mich für eine Schlabberhose aus Seide mit Animal Print von Victoria Secret und ein weißes T-Shirt aus Japan mit dem Konterfei eines Hasen in Pailetten.

Meine Gedanken hangelten sich entlang der Nähte, die die Schneider:innen an ihren Pedal betriebenen Singer Nähmaschinen in die Stoffe zogen. So wie Winnie, die seit dem Lockdown von zuhause aus arbeitete. Ihre Werke präsentierte sie an den Bäumen im Garten des Hauses, in dem sie mit ihren beiden Kindern ein halbes Zimmer bewohnte. Nur nachts floss der Strom- so war es im Mietvetag vereinbart –   dann arbeitete sie an einer elektrischen Nähmaschine. Tagsüber sah man sie vor dem Haus an der schwarzen Singer das Pedal treten. Die Maschine ist ein Schmuckstück: schwarz mit goldenem Schriftzug und geschwungen Ornamenten – die Maschine ist ein Erbe des britischen Kolonialismus: nahtlos wird die koloniale Vergangenheit in die postkoloniale Moderne überführt: Second Hand Kleidung flutet und schädigt mit den daraus resultierenden sozial ökonomischen Konsequenzen das Land, die lokale Textilwirtschaft und die Manufakturen werden sich ohne Strom nicht gegen die Industrie durchsetzen können.

„Sind diese Second-Hand-Kleider Vintage oder Gewalt?“  – in einer sechsteiligen Podcast Serie blicken der Designer Bobby Kolade und die Filmemacherin und bildende Künstlerin Nikissi Serumaga auf das Schwemmgut, welches aus der Überproduktion an Kleidung und fast-fashion, nicht allein die Märkte von Uganda flutet.

Ich dachte zurück an die Frauen auf dem Flughafen von Addis Ababa, die ihre Kleidung gegen eine Uniform eingetauscht hatten, an ihre Schuhe, denen, in ihrem Anschein von ‚Lost Identity‘ drohte, dass das Reinigungspersonal, sie bei der nächsten Runde wegkehren würde.

Es war die Schneiderin Harriet mit der ich als Erste eine textile Visualisierung dieses Clashes von importierter Second Hand Kleidung und lokaler Fabrikation und Manufaktur versuchte. Harriet übergab an ihre Tochter Ruth, die gerade noch vor dem Lockdown ihr letztes Semester in Fashion Design am YMCA Comprehensive Institute beenden konnte.

Wir hatten Spaß. Wir tauschten Assoziationen und Bilder und fügten sie in Stoffen zusammen. Der Hase grinst jetzt nicht mehr aus dem Brustbereich eines T-Shirts aus Japan, sondern sitzt fett auf dem Po eines Kleides, welches einen traditionellen Schnitt mit einem Morgenmantel in African Print von Victoria Secret, einem Holzfällerhemd aus Deutschland und einem Nike Shirt fusioniert.

Blood flood. Vintage or Violence.

Rose und Eria, die gemeinsam das Gästehaus im Stadtteil Bukoto in Kampala betreuen, in dem ich mich die letzten fünf Wochen zuhause fühlte, stickten Auszüge aus dem Gespräch mit Rose über das Waschen auf ein Bettlaken. Es ist das Erste in einer Serie von handbestickten Bettwaren, die die Gedanken der Wäscher:innen wiedergeben. Die Autorin Beatrice Lamwaka wird die weitere Umsetzung in Kampala betreuen. Auch im Kreise der zeitgenössischen Schriftsteller:innen Ugandas sind Fluch und Segen der Handwäsche ein Thema.

Die Wetterprognosen waren nicht gut. Wir verschoben das Fotoshooting um einen Tag.
Der Austausch über das sich Kleiden und das Waschen, dessen, was wir tragen, über Schuld, Zerstörung und Versöhnung, über Kolonialismus damals und heute, über das Christentum und die Frage, warum Vornamen wie Peter und Paul, Jim, James, Beatrice, Gabriela, Joy und Peace dominieren gegenüber afrikanischen Vornamen, hatte die Entstehung einer kleinen Kollektion von Kleidungsstücken begleitet.
Zu den Topthemen meines Aufenthaltes avancierten ‚der Brautpreis‘, ‚die Waschmaschine als Utopie‘ und das von Rose formulierte Leitmotiv:

I STILL HAVE THAT DREAM

Prêt-à-porter: STREETWARE x Mivumba | Fotoshooting am 13.7.2021 | Kampala

Siehe auch CMP – The Colonial Matrix of Power

Im Rahmen des Programmes Künstlerkontakte des ifa Institut für Auslandsbeziehungen. Mit Dank an femrite uganda


[1] Den Vorschlag zu dieser Arbeitsreform hatte der russischen Künstlers Velinir Chlebnikov  zu Beginn des 20.  Jahrhunderts formuliert. (Veinir Chlebnikov, Werke 2 , Prosa Schriften Briefe | Hrsg. Peter Urban | das neue buch rowohlt | 1972