Eine Auswahl von Texten, die 2022 während meiner Residenz in Belgrad entstanden. Zum vollständigen Lesen bitte das Kennwort unter barbara[at]caveng.net anfordern.
Der Widerstand der Häuser I
Ulica Pionirska, Višegrad
Sie wissen, ich war beim Haus.
Wer länger bleibt als eine Nacht, wer nicht runtersteigt zu den Ufern der Drina, sondern seine Wege zwischen den Häusern sucht, zum Hügel hochsteigt, geleitet von den weithin in der Sonne leuchtenden, weißen Gräbern, die sich bis zum Wald hinziehen, diejenige ist nicht nur gekommen, um die Brücke über die Drina zu beschreiten und dem Bauwerk und seinem Auftraggeber Mehmed Paša Sokolović Tribut zu zollen. Dieser Mensch stört die Ruhe. […]
Der Widerstand der Häuser II
Ulica Milana Vukosa 25, Beograd
Ein Lampenschirm lugt aus der Plastiktüte. Sein klassisch cognacfarbener Bezug ist fleckig, die Tüte weiß und oft gebraucht. Eine Männerhand umklammert ihren Griff. Die Straße ist in fünf Schritten überquert. Der Lampenschirm gehört zur Habe, die noch den letzten Leerraum in dem Umzugswagen füllt.[…]
Desire
[…] Sie ist rot, kantig, und braucht keine Signale, um ihr Kommen anzukündigen. Ihre Klangfarbe ist die des 19. Jahrhunderts: Die Räder hämmern, sie scheppert und rattert über die Geleise. Das Schnurren und Summen eines vibrierenden Kühlschranks, das den Sound der öffentlichen Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts unterlegt, ist für sie Zukunftsmusik, die sie polternd überfährt.
Die Tatra K4 ist die wilde Maus im öffentlichen Straßenverkehr Belgrads. […]
Ein Fest
Auf dem Friedhof herrscht Unordnung. Der permanente Aufruhr der Gegenwart hat sich des Ortes ewiger Ruhe bemächtigt. Die Chronologie der Ereignisse ist nicht mehr linear nachzulesen, Gegenwärtiges und Gewesenes bilden ein steinernes Feld, in dessen Sedimenten menschliches und unmenschliches lagert. Der Boden erodiert, die Geschichte leckt. Keine Grabplatte zu schwer, als dass sie sich nicht aus ihren Verankerungen lösen und das Gedächtnis eines Anderen erschlagen könnte. […]
Die mit den langen Beinen
[…] Das Lachen meiner Mutter wirkt verwegen, seid sie ihr Implantat nicht mehr trägt und ihr dadurch die vier Frontzähne fehlen. Die bloßgelegten Schrauben erinnern mich an die Hakenhand eines Piraten. […]