finalmeals

Installationsansicht finalmeals, Kunsthalle Mannheim 2004©Kathrin Schwab

MEMENTO MORI VICE VERSA
Katalogtext von Michaela Nolte Berlin, Oktober 2002

Mit Ingrimm und finster blickt sie drein: Betty Lou Beets, 48 Jahre alt, angeklagt der Morde an ihrem vierten und fünften Ehemann. Polizeifotos wirken ohnehin selten charmant, aber dieser Frau traut man den zweifachen Gattenmord ohne großes Zögern zu; wäre da nicht neben dem Protokoll der Gefängnisbehörde ein Leuchtkasten mit dem Bild einer Plastiktischdecke in altertümelndem Dekor, das eine ebenso beklemmende wie anrührende Leere ausstrahlt. Betty hatte keinen Wunsch, auch keinen letzten. Nüchtern wurde sie am 24. Februar 2000 mit einer Giftspritze hingerichtet.

Barbara Caveng hat aus den final meal requests von sechzehn Exekutierten ein Laboratorium komponiert, welches das Henkersmahl zum stillen Requiem für die Täter wie für die Opfer verdichtet. Jeder Beschreibung der Delinquenten und ihrer Taten ist eine Fotografie zugeordnet, die in Form von Stillleben die letzte Mahlzeit der Hingerichteten zeigt. Caveng rekurriert einen kunsthistorischen Bogen von den vielfältigen Darstellungen des Letzten Abendmahls über die Stillleben des 17. Jahrhunderts bis zum Wiener Aktionismus, dessen ritueller Einsatz von tierischem Fleisch in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts an einem der letzten gesellschaftlichen Tabus rüttelte. Wenngleich „Final Meals“ methodisch eher an die Archive Christian Boltanskis erinnert und auf die konkrete Materialität von Lebensmitteln sowie auf rohe Metaphern verzichtet, weckt die unmittelbare Zusammenkunft von Kulinarischem und Exitus eine Evokation, die den Gepflogenheiten des guten Geschmacks auch heute noch zuwiderläuft.

Der Mailänder Manierist Guiseppe Arcimboldo kreierte im 16. Jahrhundert seine schaurig-schönen Menschenbildnisse aus Früchten, Gemüse und Tieren. Caveng anthropomorphisiert das Essbare zwar nicht, doch im Sinne des geflügelten Wortes von Ludwig Feuerbach: „Der Mensch ist, was er isst“, werden die Fotografien zu fiktiven Dokumenten, in denen die Dramatis personae – die Mörder wie die Gemordeten – unweigerlich eine physische Präsenz annehmen. Die Realität der Akten und die Fiktion der Bilder gehen in einer gänzlich neuen Bildwirklichkeit auf, die Fragen von Schuld, Lust und Sühne in der kühnen Diskrepanz von Lebens-Mittel und Todes-Protokoll auf eine bitter-ironische Spitze treibt.

caveng finalmeals©ralf grömminger
finalmeals | Installationsansicht Postfuhramt Berlin | 2000
©ralf grömminger

Über eine Länge von zwanzig Metern sind die identisch großen und farbigen Leuchtkästen mit den nüchternen Schwarzweißbiografien in regelmäßigem Abstand aufgereiht. Die symmetrische Ordnung und die Sachlichkeit der Installation erinnern an Raum- und Formuntersuchungen der Minimal Art. Caveng greift deren stilistische Klarheit auf, unterstreicht sie in der neutralen, grauen Farbgebung und geht im Rückgriff auf eine gleichsam abstrakte Realität über das rein Formelle hinaus. Hübsche Gedecke mit Cornflakes und Milchkännchen oder ein auf Spitzendeckchen servierter Erdbeer-Shake mit Käsetorte im Angesicht von Raubmorden; hedonistisch anmutende Menüs in mehreren Gängen flankiert von Sexualmorden. Selbst die klaustrophobische Enge der “Corridors“ von Bruce Nauman erscheint angesichts des Gangs durch diesen Todestrakt vergleichsweise angenehm. Der Besucher wird für den Moment zum “Dead Man Walking“, der harmlos anmutenden Stillleben und sachlich verfassten Hinrichtungsprotokollen gegenüber steht. Vier Quadratmeter messen die Todeszellen in US-amerikanischen Gefängnissen und Caveng lässt die Enge eines Lebens im Angesicht des Todes, der Täter ebenso wie der Opfer, körperlich spürbar werden. Der reale Kunstraum bietet gleichsam einen Schutz, wo im Zwiegespräch mit dem Grauen – der Taten wie auch der institutionalisierten Todesmaschinerie – sich plötzlich das ureigene Selbst spiegelt.

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Ein leuchtend grüner Apfel vor einem flirrend lebendigen Hintergrund begleitet den Bericht über Russel James. Im Alter von 23 Jahren war der schwarze Musiker für einen Raubüberfall zu einer Gefängnisstrafe von 50 Jahren verurteilt worden. Drei Jahre später wurde er für schuldig befunden, während eines Freigangs den Zeugen der ursprünglichen Straftat in einem Wald erschossen zu haben. Der Leuchtkasten bringt Vorurteile und (vorschnelle) Urteile gleichermaßen ins Wanken. Unschuldig und paradiesisch wirkt der Apfel, wie gerade vom Baum der Erkenntnis gefallen, ein künstlerisch perfektes Tableau und schön anzusehen.

Die Arrangements auf den Fotografien versprühen den biederen Charme von Schulkochbüchern aus den 60er-Jahren. Die Speisen, adrett und penibel drapiert, lassen auf ein ebenso schlichtes wie ordentliches Dasein schließen. Dabei endet jede der Chroniken mit dem Tod – wie das ganz gewöhnliche Leben auch. Caveng visualisiert nicht die Sehnsüchte und Freuden kulinarischer Genüsse wie es dem klassischen Stillleben eigen ist, das selbst im Nature morte ein sublimes Memento mori erweckt und heutzutage längst von der Verführungskraft der Fotografie und insbesondere der Werbefotografie abgelöst wurde. Zwar erscheinen die Kompositionen auf den ersten Blick appetitlich und kleinbürgerlich nett, doch die formal strengen und unterkühlten Aufnahmen verweisen mit ihren einfachen Attributen zugleich auf die soziale Herkunft der Täter. Gerade der Identität stiftende Aspekt von Nahrungsmitteln und die Komponente des Erhalts biologischer Körperfunktionen entfalten im gedanklichen Moment zwischen humaner Geste und vollstreckendem Akt das profunde humanistische Scheitern.

Mag manch einer der Künstlerin einen gewissen Zynismus ob der bunten Bilder neben den rabenschwarzen Fakten vorwerfen, so wird dieser Zynismus nur von der Realität selbst überboten. Larry Wayne White wünschte sich zu Leber mit Zwiebeln, Hüttenkäse und Tomaten eine letzte Zigarette. Doch im Todestrakt sind Zigaretten polizeilich verboten, denn: Rauchen gefährdet die Gesundheit. Delbert Boyd Teague jr. aß erst auf Drängen seiner Mutter vor der Hinrichtung einen Hamburger. Der absurde Antagonismus von letzter Fürsorglichkeit und bewusst herbeigeführtem Tod evoziert einen Raum der Stille, der den sprichwörtlichen Apfel im Halse des Betrachters stecken bleiben lässt. Von den Debatten in Amerika um öffentliche Exekutionen als Medienereignis ganz abgesehen.

In diesem Spannungsfeld provoziert Cavengs Installation ein totales Schweigen, das nur von den letzten Worten der Todeskandidaten gebrochen wird. Doch auch hier herrscht in der Formelhaftigkeit der Statements eher Sprachlosigkeit vor. Während Joseph Beuys Lebensmittel im Sinne der Transsubstantiation als Zeichen für Energie und Nährwert aufgefasst hat, setzt Caveng Früchte, Joghurt und T-Bone-Steaks in einem wahren Endspiel ein. Die eindrückliche Kraft der „Final Meals“ geht von ihrer Luzidität und Unaufgeregtheit aus. Aus dem Wunsch des letzten Mahls, dessen Ingredienzien auf den Protokollen vermerkt sind, hat die Künstlerin ein posthumes Porträt inszeniert, das bei aller Empathie stets unparteiisch bleibt, Emotionalität ebenso vermeidet wie vordergründige Betroffenheit. Die Spannung zwischen Gefängnisprotokoll und Bild gewordenem Henkersmahl eröffnet Geschichten fernab vom Boulevard oder voreingenommenen Meinungen, die ein Gut oder Böse gleich mitliefern. Caveng lässt den Betrachter in diesem irritierenden Zusammenklang von Tod und Leben, von Nahrung und Konsum – mithin auch Kunstkonsum – mit den puren Fakten allein, sich selbst ein Bild zu machen.

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