HLAIBA

Wie im Krieg Lebensgrundlagen nicht nur durch Panzer und Haubitzen zerstört werden, sondern Hunger seit jeher als existenzvernichtendes, machtpolitisches Instrument der Kriegsführung erzeugt wird, thematisiert die Arbeit HLAIBA.

Ausgangspunkt für das soziale Brotwerk bildet ein Ährenrelief aus den 30er Jahren an einem ehemaligen Kornspeicher in der Stadt Pasewalk in Mecklenburg/ Vorpommern – eine Fassadenzeichnung aus Ziegelstein und Biberschwanz, die an Pasewalk als Ackerbürgerstadt erinnert und auf die Bedeutung der Region als Agrarstandort verweist – bis nach der Wende.

Die fünf Ähren des Reliefs werden im Rahmen eines kollaborativen Aktes von den Schrifttmacher:innen barbara caveng und Lana Svirezheva gemeinsam mit Bewohner:innen der Stadt Pasewalk und Umgebung aus 144 Broten nachgebildet und am 23. und 24.7. bei NUR KUNST in der Großen Kirchstraße 25/ Piazza Pasenelle von den Ladies Hlaiba* in einem Festakt präsentieren.
Die einzelnen Brote können gegen Spenden erworben werden. Der Erlös kommt Menschen in schwierigen Lebenssituationen zugute.

Alle Menschen in der Region laden wir herzlich dazu ein, ein Brot für das Werk, welches dem Leben in einer solidarischen Gemeinschaft gewidmet ist, mitzubacken.


In unmittelbarer Nähe zum Speichergebäude erhebt sich ein mächtiges Silo, ein weißer 80 000 Tonnen-Kornpalast erbaut vom VEB Fortschritt, Relikt florierender Agrarwirtschaft und Wahrzeichen der Stadt. Bis zu 400 Tonnen Getreide pro Stunde wurden im VEB Getreidewirtschaft Pasewalk zu DDR-Zeiten umgeschlagen. Der ehemalige volkseigene Betrieb ging nach der Wende in Besitz des HaGe Konzerns über und ist für die Arbeitswelt der Menschen vor Ort kaum mehr von Bedeutung. Seine Silhouette – in Beton gegossenes Lebensgefühl, Erinnerung gespeichert in acht Röhren. Auch die Mehrzahl der Getreidemühlen in der Region stehen längst still, sind Museum oder Gaststätte.

„Brot ist der Kopf von allem“ – Ukrainisches Sprichwort

20 Millionen Tonnen Getreide lagern in den Ukrainischen Speichern, berichten die Medien. Genug um die Welt vor dem zu bewahren, was jetzt droht: einer Hungerkatastrophe, die die bestehende Notlage von Millionen Menschen, die nicht genug zum Essen haben, drastisch verschärft. Jemen, der Tschad, Somalia, Libanon…. Jeden Tag rücken weitere Länder in den Blickpunkt, deren Bewohner:innen vom Hungertod bedroht sind.

Holodomor – Tod durch Verhungern aus wirtschaftlichen Interessen – zwischen 3 und 7 Millionen* Menschen verhungerten während der von der Sowjetunion in der Ukrainischen Sowjetrepublik vollzogenen Zwangsindustrialisierung der Landwirtschaft in den 30er-Jahren. Auch daran erinnert der Strauß aus fünf Ähren: „Wir erinnern uns an den Holodomor und das berüchtigte ‚Gesetz der fünf Ährchen‘ . Dieses Gesetz wurde zu einem Vorboten des Holodomor. Es sah den Diebstahl von Kolchose-eigentum durch Hinrichtung an Ort und Stelle und die Konfiszierung des Eigentums vor. Das ist schockierend, aber selbst ein paar Ährchen, die auf dem Feld unter dem Schnee überwinterten, galten als solches Eigentum.“ Worte von Maryna Bielinska, Psychologin aus Kiev, am 23.5.2022 in einem Austausch über das Projekt ‚Hlaiba‘.



In der Sammlung „Beiträge zur Geschichte Pasewalk“ aus dem Jahr 1988 findet sich ein Gedicht von Elisabeth Haase. Es liest sich, als hätte sie es gerade geschrieben…..

BROTAUTOS AUF DER RAMPE

Sie warten
auf die kostbare Fracht dieser Erde
Brot.
Erfleht durch Jahrtausende.
Vorhanden nie ausreichend.
Gefährdet immer,
noch nie so wie heute,
das Brot.
Sein Duft
weckt Erinnerung an Sommer voll Reife
und Kindheit. An Hände der Mutter,
freigebig nicht nur mit Brot.
Sie warten
auf die kostbare Fracht dieser Erde.
Solange sie fahren
ist Frieden.

Elisabeth Haase


*Ladies HLAIBA bezieht sich auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes nachgelesen im Wahrig Wörterbuch:
*Lady in England: Titel für adlige Frau, auch allg.: Dame
engl. lady, aus mengl.lafdi, lavede, aus altengl. hlæfdige „Hausherrin“, eigtl. „Brotmacherin“, aus altengl. hlaf „Laib Brot“ (zu got. hlaifs, altnord. hleifr „Laib Brot“) und altnord. dige „Magd“ (der das Teigmachen obliegt, zu got. digan „kneten“)